Unialltag 2.0 – jetzt wird (hoffentlich) alles besser

Lesedauer: 14 Minuten

LEBENSSTORYS An diesem Artikel habe ich während des gesamten zweiten Semesters gearbeitet. Hier sind meine Empfindungen und Gedanken, Lernpläne und Unialltagsimpressionen eingegangen. Ihr werdet die tollen Aspekte eines Sommersemesters ebenso wie negative Eindrücke kennenlernen. Und ihr werdet sehen, dass im Leben einer Studentin nicht immer alles nach Plan läuft.

Viel zu viele E-Mails! Gerade habe ich mein Uni-Mailfach gecheckt und wurde überschwemmt mit Nachrichten bezüglich Kurseinschreibungen, Terminen usw. Innerlich bin ich noch nicht bereit für dieses ganze Selbstorganisations-Zeug. Sechs Wochen ohne jegliche Gedanken über die Uni liegen hinter mir. Und schließlich beginnen die Vorlesungen erst in ein paar Tagen. Wobei … Ich weiß, eigentlich bin ich spät dran, mich langsam wieder an den Uni-Gedanken zu gewöhnen.

Aller Anfang braucht Ziele

Meine Freunde beschäftigen sich im ThePhy-Vorkurs (Theoretische Physik) bereits diese Woche mit komplizierter Mathematik. Da ich mich aus Zeitgründen gegen eine Belegung des ThePhy-Kurses in diesem Semester entschieden habe, ist mir dies erspart geblieben. Selbstverständlich werde ich den Kurs in einem späteren Semester nachholen, doch für jetzt freue ich mich über meinen verhältnismäßig leeren Stundenplan.

Endlich sollen die Kurse ausnahmslos in Präsenz stattfinden. Obwohl Corona noch immer in aller Munde ist, wurden die Maßnahmen vor Kurzem gelockert, sodass wir jetzt hoffentlich auch den richtigen Unialltag erleben. Ich habe mir viel vorgenommen. Möchte alle Fehler des ersten Semester vermeiden und das Beste und Effektivste aus meiner Zeit herausholen:

  1. Ich werde mich mit meinen zwei Hauptkursen MaPhy und ExPhy intensiver beschäftigen und trotzdem weniger Zeit mit Uni verbringen.
  2. Ich werde mir selbst meine Freizeit gönnen und auch meine Hobbys und außeruniversitären Aktivitäten fest in meinen Stundenplan einbauen, um eine gute Wochenstruktur zu haben.

Sommergefühle

Keiner kann beschreiben, wie sehr sich das Sommersemester vom Wintersemester unterscheidet, bis er es nicht selbst erlebt hat. Die Atmosphäre auf dem Campus ist vollkommen anders. Aus einem leeren, müden Gelände ist ein lautes, buntes, fröhliches Zusammensein geworden. Der Campus strahlt in den schönsten Grüntönen, überall blühen Pflanzen, die Sonne scheint und macht ein entspanntes Lernen unter einem der vielen Bäume möglich.

Campus-Festival

Ein riesiger Schwall von Studenten aus den Zügen überrennt morgens die Wege, wahre Menschenmassen stehen an der Mensa an, hier und da sitzen Leuten im grünen Gras, immer wieder begrüßen sich alte Bekannte, die sich lange nicht gesehen haben. Das mag einerseits an den länger werdenden Tagen und den (noch) angenehmen Temperaturen liegen, die einfach gute Laune mit sich bringen. Das mag aber auch daran liegen, dass wir endlich wieder ein richtiges Präsenzsemester haben.

So kann das erste Campus Festival seit Jahren auf dem Campus Neues Palais stattfinden. Es gibt Mitmach-Spiele, einen Hüpfburg-Hindernisparcours, Musik, ein Bühnenprogramm und zahlreiche Stände von Vereinen und lokalen Studentengruppen. An einem der Stände soll man seine Gefühle während der Corona-Beschränkungen (letztes Wintersemester) und danach (jetziges Sommersemester) an eine Leinwand schreiben. Das Ergebnis zeigt – nicht überraschenderweise – eine extreme Erleichterung, von den Corona-Beschränkungen frei zu sei.

Noch nie habe ich seit Pandemiebeginn so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Und das erste Mal ist es tatsächlich nicht mehr komisch, so ganz ohne Maske rumzulaufen. Allgemein herrscht eine unbeschreiblich schöne Atmosphäre. Ich genieße es, an den Ständen entlangzuschlendern und beobachte alle Interaktionen der vielen Studenten um mich herum mit großem Interesse, während meine Freundin alle möglichen Werbegeschenke und Süßigkeiten abgreift. Und als ich mit ihr zwischen den vielen Studentengruppen auf dem Rasen vor der Bühne sitze, wird mir klar: Genau so und nicht anders habe ich mir das Studentenleben in Potsdam vorgestellt.

Picknickdecke

Auch die Lernatmosphäre hat sich verändert. Wenn man morgens schon vor dem Weckerklingeln mit den ersten Sonnenstrahlen aufwacht, macht es gleich mehr Spaß, in den Tag zu starten – es sei denn, es ist Dienstag und wir haben acht Uhr eine hochabstrakte MaPhy-Vorlesung. Dann macht das Aufstehen nicht ganz so große Freude. Aber sonst … Ich hocke nicht mehr stundenlang betrübt in meiner Wohnung über irgendwelchen Aufgaben, sondern nachmittags auch oft draußen auf meiner Picknickdecke. Mit Keksen (= Nervennahrung) in greifbarer Nähe und meinem Laptop auf einem kleinen transportierbaren „Laptoptisch“ sitze ich im Schneidersitz unter einem Baum auf einer kleinen Wiese mitten auf dem Campus.

Hier kann ich stundenlang an meinen Laborbüchern arbeiten oder mir meinen Kopf an den neuesten MaPhy-Aufgaben zerbrechen. Zwischendurch lasse ich meine Gedanken schweifen und beobachte die Menschen um mich herum, grüße vorbeilaufende Studenten, die ich kenne oder höre ich die Gespräche Anderer mit, besonders, wenn sie wie so oft, über mich, das alleine auf einer riesigen Picknickdecke knieende Mädchen, reden.

Hier und da sitzen andere Studenten auf der Wiese im Gras – in Gruppen oder alleine. Meist unbefangen diskutieren sie Uniprojekte oder genießen einfach nur ihre freie Zeit vor der nächsten Vorlesung. Doch kaum jemand bleibt dort so lange wie ich. Ich finde das nicht schlimm. Ich habe kein Problem damit, dort für mich allein zu sitzen. Eigentlich liebe ich diese Stunden sogar sehr. Denn dann höre ich die Vögel zwitschern, ärgere mich über nervige Käfer (Käfer kann ich leider gar nicht ab) und fühle mich fast, als würde ich zuhause auf unserem Hof sitzen – mit dem Unterschied, dass immer andere Studenten in der Nähe sind und ich nie komplett allein bin.

Studium als Vollzeitjob

Es gab bis jetzt keine Sekunde, in der ich es bereut habe, ThePhy abzuwählen. Ich bin bereits mit meinen 21 Leistungspunkten an meiner Konzentrations- und Leistungsgrenze. Ich habe mal nachgerechnet. Theoretisch sollen wir 30 Leistungspunkte pro Semester abarbeiten, um unser Studium in Regelstudienzeit abzuschließen. Ein Leistungspunkt entspricht 30 Arbeitsstunden. Macht also 30 x 30 = 900 Arbeitsstunden pro Semester. Bei 15 Wochen im Semester sind das neun Arbeitsstunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Ein wahnsinniger Zeitaufwand! Ich meine, verglichen mit der normalen 40-Stunden-Arbeitswoche… Hallelujah!

Ich bemerke gerade, wie viel Druck ich mir noch vor einigen Monaten gemacht habe. Von wegen, ich werde das Studium in Regelstudienzeit schaffen. Ich war mir so sicher, dieses Ziel mit meiner guten Aufnahmefähigkeit und meinem Ehrgeiz erreichen zu können. Ich wünschte, mir hätte vor Studienbeginn jemand gesagt, wie so ein Studium abläuft. Wie ich meinen ganzen Alltag nach dem Studium ausrichten würde. Wie ich bis spät in die Nacht aufbleiben würde, um meine Aufgaben wöchentlich zeitgerecht abgegeben zu können. Wie ich mich schlecht fühlen würde für jede Minute, die ich nicht mit der Lösung offen gebliebener Aufgaben verbringe.

Momentan sitze ich vier bis acht Stunden täglich an Unisachen. Und bin damit mehr als ausgelastet. So kann ich mir neben den Sachen, die sowieso erledigt werden müssen (Essen kochen, Wohnung putzen, Fahrzeiten, Arztbesuche …) auch guten Gewissens Zeit für Dinge nehmen, die ich gerne tue: Freunde treffen, Sport machen, Hobbys ausüben, Ausflüge planen, vor mich hindösen. Ich will nicht meine gesamte Zeit und meine mentale Gesundheit dem Studium opfern. Ich möchte Freude am Studium haben und viel dazulernen, mich gleichzeitig aber auch in so vielen anderen Interessensbereichen wie möglich verwirklichen.

Keinesfalls die Regel

Schwer am Lernen

Wenn ich mitbekomme, wie der Tagesablauf von einigen Kommilitonen aussieht, möchte ich keineswegs mit ihnen tauschen. Ich finde es teilweise sehr bewundernswert, wie sie ihre Zeitplanung meistern; habe aber für mich selbst festgestellt, wie viel glücklicher und befreiter ich bin, wenn ich nicht so viel zu tun habe. Gerne gebe ich für dafür die 30 zu schaffenden Leistungspunkte auf. Und ganz ehrlich: Keiner stört sich daran! Die Regelstudienzeit (von drei oder vier Jahren, je nach Studiengang) ist keineswegs die Regel. Und das hat mir bis jetzt auch jeder Student bestätigt, mit dem ich geredet habe.

Das liegt tatsächlich nicht nur an dem extremen Zeitaufwand, der einigen Studierenden zu viel wird, sondern oftmals auch an nicht bestandenen Prüfungen, welche man oft erst ein Jahr später nachholen kann. Oder aber es sollen überbelegte Module belegen werden (sprich: 500 Studenten wählen ein Modul, das für 300 Leute ausgelegt ist). Man kommt also gar nicht erst in alle Module und schafft dementsprechend keine 30 Leistungspunkte pro Semester.

Ich finde es traurig, diese Lektion auf die harte Tour gelernt zu haben. Klar, vielleicht gehört das einfach zum Studierendenleben dazu. Letztendlich habe ich während des ersten Semesters viel über mich selbst und meine eigenen Grenzen gelernt… Da ich aber jetzt einen Vergleich habe, wie viel angenehmer das Studentenleben sein kann ohne den übertriebenen Aufgabendruck, möchte ich nie mehr, aber auch wirklich nie mehr zurück zu 30 Leistungspunkten im Semester.

Verstehen braucht Zeit

Vorneweg: Wer Physik studieren will, braucht Ausdauer und viel Geduld. Geduld in dem Sinne, dass man nicht wie in der Schule beim ersten oder zweiten Durchlesen alles verstehen kann. Allein das MaPhy-Skript muss ich mehrmals durcharbeiten, bis ich die Aussagen halbwegs verstehe. Bis ich ein Thema jedoch komplett verstanden habe, dauert es manchmal Monate (oder Jahre :/). Ich scherze nicht. Manchmal sitzt man Monate später in einer Übung, redet über ein früheres Thema, und plötzlich macht es Klick! im Kopf und man denkt sich: Ach so! Jetzt weiß ich, wozu das überhaupt gut ist.

Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, dass dieser langwierige Denk- und Lernprozess absolut normal ist. „Sachen nicht auf Anhieb zu verstehen, heißt nicht dumm zu sein.“ Ein Satz, den ich mir selbst hundertmal gesagt habe. Es hat eine Weile gedauert, bis mir klarwurde: In Physik geht es nicht ums Auswendiglernen. Es geht um Konzepte, die man immer und immer und immer wieder selbst durchdenken muss, um sie zu durchblicken. Damit einher gehen eben auch mathematische Methoden, die man sich einfach verinnerlichen muss. All das geht nicht von heute auf morgen.

Konkret für mich bedeutet das: Das erste Mal höre ich vom Exphy-Stoff während der Vorlesung. Da verstehe ich, wenn es gut kommt, zumindest die Konzepte. Dann setze ich mich pro Vorlesung noch einmal ein bis drei Stunden (oder länger) an die Nachbereitung, indem ich den aktuellen Stoff in einem vom Professor empfohlenen Buch nachlese und meine Mitschriften vervollständige. Für ein Übungsblatt sitze ich einen ganzen Tag, wenn ich durchziehe, also etwa sechs bis acht Stunden. Dann werden mir vor allem die mathematischen Zusammenhänge noch klarer – auch wenn ich bei Weitem nicht alle Aufgaben gleich gelöst kriege.

In den Übungen mit Übungsleitern müssen wir alle mindestens zweimal vorrechnen. Meistens sitzt man jedoch einfach nur dabei und freut sich, wenn die Lösungen an der Tafel mit den eigenen überstimmen. Auch hier kriegt man aber wieder nicht alles mit – und erst mit dem Durcharbeiten der hochgeladenen Musterlösungen werden die (wahrscheinlich noch nicht) letzten Unsicherheiten geklärt.

Schlechtes Gewissen

Ähnlich läuft es in Maphy ab. Irgendwann im Verlauf der ersten Wochen habe ich angefangen, bereits intensive Vorarbeitung für die Vorlesungen zu leisten. Dazu schreibe ich jede Woche fast das gesamte Skript für die kommende Woche (außer die Beweise) ab, was mich im Durchschnitt zwei bis vier Stunden kostet. Dann sitze ich in den Vorlesungen, verstehe – wenn es gut läuft – so die Hälfte und rechne mir schon im Kopf aus, wie viele Stunden ich noch in die Nachbereitung werde stecken müssen.

Pro Übungsaufgabe braucht man manchmal mehrere Stunden (und es gibt mehrere davon…) – je nachdem, wie wichtig es einem ist, die Aufgaben wirklich selbstständig gelöst zu bekommen. Denn so seltsam es auch klingt: Manchmal muss ein Studierender einfach 60 Minuten auf eine Formel starren, um sie zu verstehen. Und wenn das nicht funktioniert, gibt es ja immer noch die Lerngruppen und schlussendlich die Übungsstunden. Puh, das sind also mindestens fünf „Durchgänge“ pro Woche pro Modul … und von den Klausurübersichten bzw. Spickzetteln, die wir wieder anfertigen dürfen, habe ich ja noch gar nicht gesprochen…

„Ich kann mir Freizeit nehmen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, weil ich trotzdem (fast) ohne Stress den Stoff schaffe.“ Uff. Gerade sitze ich in einer Mathe-Übung, höre aber kaum zu, weil ich diese eine Aufgabe bereits gut für mich selbst lösen konnte. Wie auch immer: Ich weiß nicht, wann ich den obigen Satz aufgeschrieben habe. Es muss aber schon eine Weile her sein, denn mittlerweile gilt nicht mehr, dass ich trotzdem (fast) ohne Stress den Stoff schaffe.

Ich habe seit ein paar Wochen kein Spanisch mehr gemacht. Ich muss mich zu jedem freien Abend durchringen. Ja, es ist definitiv besser als im ersten Semester. Ich habe schon ein Stück weit gelernt, mehr auf meine mentale Gesundheit zu achten. Aber bis ich mit dem Arbeitsaufwand wirklich glücklich bin (vielleicht ist das auch gar nicht möglich…), ist es noch ein langer Weg.

Effizienz

Freizeit nehmen: In der Stadt unterwegs

Immer wieder gibt es Tage, da habe ich das Gefühl, den ganzen Tag an Unisachen gesessen zu haben und nichts – aber absolut nichts – von dem geschafft zu haben, was ich machen wollte. Irgendwie hat die Motivation gefehlt, das Pflichtbewusstsein aber nicht und so habe ich mich stundenlang durch die verschiedensten Vor- und Nachbereitungen gequält. Es ist schwer, an solchen Abenden positiv gestimmt zu bleiben.

Doch ich versuche mir dann immer zu sagen, WAS ich denn heute alles geschafft habe statt alles Nicht-Geschaffte aufzuzählen. Also nicht: „Jetzt habe ich mir weder die Matheaufgaben erneut angeguckt noch mit den ExPhy-Aufgaben angefangen.“ Lieber: „Cool! Weitere zehn Seiten MaPhy-Skript abgeschrieben! Und über elektromagnetische Wellen wusste ich noch nie so viel wie jetzt!“ Ich denke, meine Aussage wird klar. (Und jetzt muss ich aber wirklich noch an meinen Aufgaben weiterarbeiten …)

Um bestmögliche Lernerfolge zu erzielen und möglichst effektiv zu arbeiten, gibt es im Studium vielfältige Möglichkeiten. Ich persönlich liebe es, mir Inhalte selbst zu erarbeiten. Dazu habe ich mir ein paar der von den Professoren und älteren Studenten empfohlenen Bücher gekauft und sitze manchmal stundenlang an einer Frage, weil ich so gerne selbst eine Lösung finden würde. Nur wenn ich wirklich nicht weiterkomme, ist es schön, mich auch mit anderen Kommilitonen austauschen zu können – oder eben gemeinsam über Aufgaben zu verzweifeln (was ungemein die lustigsten Momente unter der Woche sind).

Viele meiner Kommilitonen arbeiten sehr viel mehr im Team. Lösen die Aufgaben grundsätzlich zusammen, erklären sich Sachverhalte gegenseitig. Und ich meine, das ist ja auch das Tolle am Studium, oder nicht? Jeder kann so lernen, wie es für ihn am angenehmsten ist.

Tutorien

Ich weiß zum Beispiel, dass für meine Mitstudierenden die Erklärungen von unserem Tutor Sam* essentiell für ihr Verständnis sind, während ich eigentlich nur zu Tutorien gehe, um Ansätze für scheinbar unlösbare Aufgaben zu bekommen. Dann sitze ich da zwischen den anderen Studenten, die angeregt mit Sam über die verschiedensten Themen diskutieren. Ich höre lediglich mit einem halben Ohr zu und horche auf, wenn Sam etwas für mich Interessantes sagt; schreibe aber tatsächlich die meiste Zeit an diesem Artikel. Oder ich arbeite an anderen Aufgaben, die mein Gehirn gerade mehr beschäftigen … wie der Stoff der Zoom-Vorlesung mit unserem ExPhy-Professor, der LEIDER gerade aufgrund einer Konferenz auf Kreta sein muss.

*Den Namen habe ich verändert.

POV: Da sitze ich einmal im Tutorium und höre zu, schreibe sogar mit und dann fragen Kommilitonen, warum die Lagrange-Funktion jetzt so ist, wie sie ist. Was die Intention dahinter ist. I mean, die Formel funktioniert und wir haben bewiesen, dass sie gilt. Wenn man noch mehr über die Hintergründe wissen will, muss man eben mal in einem Buch nachlesen, oder nicht?

Ihr seht, wenn ich etwas für die Uni mache, möchte ich es effizient machen. Vor allem jetzt, wo ich gefühlt wieder stark hinter meinem Zeitplan hinterherhinke. Wenn wir im Tutorium also effektiv Lösungsansätze besprechen und Klausurvorbereitung machen, bin ich glücklich. Wenn aber Fragen kommen, deren Mehrwert für mich nicht sonderlich groß ist, schalte ich ab und fange zum Beispiel an, dies hier zu schreiben.

Vorlesungsfrei

Während der letzten Vorlesungswochen ist es eine unheimliche Erleichterung, nicht wie die anderen noch gleichzeitig für zwei anstehende Prüfungen zu lernen. Die ThePhy-Prüfung fällt für mich weg und den ExPhy-Ersttermin hat unser Professor mit Zustimmung der Mehrheit unseres Kurses in den eigentlich prüfungsfreien August gelegt. Ich bin wie immer in der Minderheit; schließlich ist unser Urlaub für genau diesen Zeitraum schon lange gebucht. So bleibt mir nichts Anderes übrig, als auf den Zweittermin Ende September zu vertrauen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Während die anderen fast ihre gesamte Zeit in die Prüfungsvorbereitung stecken, komme ich aufwandstechnisch wesentlich besser davon. Ich habe auch Stress, so ist es nicht. Ich will meine Matheübersicht unbedingt vor dem ersten Urlaub fertigkriegen. Und das ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Es kostet mich mindestens zwei Stunden pro Tag, um aus meinen Semester-Aufzeichnungen die wichtigsten Stichpunkte herauszuschreiben.

Ehe ich mich versehe, ist der August ran und das Sommersemester vorbei. Ich bin ein bisschen traurig, da es so viel gibt, was ich nicht getan habe. In Berlin feiern gehen zum Beispiel. Ein Picknick im Park Sanssouci mit Sommerhüten und Sommerkleidchen. Ein spontaner Abend mit Unifreunden. Doch natürlich freue ich mich auf den Sommer. Wir würden in die Türkei fliegen und ein vielleicht letztes Mal im Defne Star, unserem Stammhotel in Side, sein. Zwei Wochen Hitze. Nur der Gedanke, dass mich noch zwei Prüfungen erwarteten, wird der vollkommenen Entspannung entgegenstehen.

Tu parles le langage des mathématiques?

MaPhy-Übung

Zurück zuhause mache ich mich mithilfe meiner Stichpunkte sogleich an das Schreiben meines Spickzettels. Ein wiederum aufwendiger Plan, schließlich muss ich das Mathe-Wissen eines ganzen Semesters auf zwei A4-Seiten quetschen. Ich weiß, die meisten meiner Kommilitonen notieren sich nur die wichtigsten Punkte derjenigen mathematischen Verfahren, die höchstwahrscheinlich in der Prüfung drankommen sollen. Doch man kennt mich. Ich muss auf alles vorbereitet sein.

In diesen paar Tagen lasse ich mich schnell ablenken. Ich schaue stundenlang YouTube-Videos oder lese in meinen Büchern nach, weil immer wieder mathematische Zusammenhänge auftauchten, die für mich nicht ganz Sinn ergeben. Ich schaffe meinen Zeitplan nicht ganz und als ich Ende August mit meiner Oma für ein paar Tage nach Paris fliege, ist mein Spickzettel noch nicht fertig.

Paris ist alles, was mein MaPhy-Kurs auch manchmal sein kann: Verrückt, bunt und vor allem unübersichtlich. Als wir nach einer spannenden, anstrengenden Woche aus der Stadt der Liebe zurückkehren, habe ich keine Zeit, mich auszuruhen. Noch eine Woche bis zur MaPhy-Prüfung und ich habe keine einzige Übungsaufgabe gelöst. Es dauert aber tatsächlich nicht lange, bis mein Spickzettel fertig und die zwei Probeklausuren durchgerechnet sind.

In Ruhe widme ich mich dem Skript von Sam, unserem Tutor, in dem er uns (so gesehen als Abschiedsgeschenk) die wichtigsten Punkte dieses Mathe-Semesters zusammengefasst und an Beispielen erklärt hat. Nächstes Jahr werden wir keinen Tutor mehr haben und sind auf uns allein gestellt. Ich bin gespannt, was wir uns anstellen. Denn auch wenn ich nicht immer Fan von Sams Tutorien war, kann ich jedem Studierenden nur empfehlen: Nutzt die Tutorien! Die Perspektive eines älteren Studenten ist es immer wert, angehört zu werden.

Kurzgefasst: MaPhy-Lernplan
4-8 Wochen vorher: selbstständige Recherchen zu alten und aktuellen Mathethemen; der Versuch, die Inhalte wirklich zu durchdringen; Zusammenfassen aller Inhalte in möglichst kurzen „Stichpunkten“
3 Wochen vorher: Spicker schreiben, alte Aufgaben anschauen
1 Woche vorher: viele, viele Aufgaben rechnen
1 Tag vorher: entspannen – jetzt kann ich mein Wissen eh nicht mehr großartig erweitern

Überraschungen

Ich trete die Matheprüfung mit einem mulmigen Gefühl an. Aber nicht, weil ich mich dem nicht gewachsen fühlte. Sondern vielmehr, weil ich nach gefühlt so vielen Wochen wieder in Potsdam bin und meine ganzen Kommilitonen wiedersehe. Weil ich schon fast vergessen habe, wie es ist, über den Campus zu laufen.

Die Klausur entpuppt sich als sehr überraschend im Vergleich zu den Probeklausuren. Von den meisten Aufgabenstellungen habe ich noch nie gehört. Und die Zeit ist auch knapp bemessen. „Haben Sie keine Angst vor den Aufgaben“, höre ich die Worte unseres Professors, „machen Sie einfach und dann kriegen Sie das hin.“ Ich kriege es hin. Knapp zwei Wochen nach der Klausur erhalte ich mein Ergebnis: 2,0. Damit hätte ich nie gerechnet.

Anfang September. Ich „gönne“ mir ein zusätzliches, zweitägiges Seminar am Neuen Palais: „Journalistisches Schreiben“. Wir sind ein sehr kleiner Kurs und können so ganz individuell arbeiten und uns die Erfahrungen und Geschichten unserer Seminarleiterin anhören. Dieser kleine Einblick in die Welt der Journalisten ist mehr als lohnenswert. Zumal wir auch die Gelegenheit bekommen, unseren eigenen journalistischen Text zu verfassen. Ich entscheide mich für eine Mini-Recherche zum Thema „Doppelbelastung: Studieren und Arbeiten“, deren Ergebnis ihr hier nachlesen könnt.

Verrückter September

Unser Zebra-Haus auf dem Campus Golm

Bis zur ExPhy-Prüfung am 29. September habe ich jetzt noch dreieinhalb Wochen Zeit zu lernen. Und die sind auch dringend nötig. Bis Ende des Monats muss ich alle meine Aufzeichnungen durchgehen, alle Übungsaufgaben erneut und die Probeklausur lösen und meinen digitalen Spicker fertig haben. Wobei ich mir die letzte Woche noch für zusätzlich aufkommende Probleme freihalten will. Ein straffer Plan. Um ihn durchzuzuziehen, arbeite ich jeden Tag das Wissen einer Semesterwoche nach folgendem Schema durch:

  1. Alle wichtigen Aspekte dieser Woche handschriftlich zusammenfassen (mein selbsterstelltes Skript ist insgesamt 54 Seiten lang) *2 Stunden*
  2. Anhand dieses Skripts meinen Spicker gestalten *1-2 Stunden*
  3. Die Übungsaufgaben dieser Woche mithilfe des Spickers lösen und mir alle Zusammenhänge endgültig klarmachen *2-3 Stunden*

Das macht insgesamt sechs Stunden Aufwand pro Tag. Eine Turbo-Wiederholung sozusagen, wobei ich das ganze Wissen eines Semesters in zweieinhalb Wochen in meinen Kopf quetsche. Mein Plan geht in den ersten zwei Wochen erstaunlicherweise gut auf. Es ist viel Arbeit, keine Frage, und fühlt sich jedes Mal wie ein ganzer Arbeitstag an. Aber ich habe auch Zeit auszugehen, etwas zu unternehmen und ein klein wenig die Freiheiten der Semesterferien zu nutzen.

Schief geht die Sache erst, als eine Woche vor dem Prüfungstermin mein Corona-Test positiv ist. Na klasse. Meine größte Angst zu diesem Zeitpunkt ist, dass ich zur Prüfung noch nicht wieder negativ bin, also den Zweittermin verpasse und nächstes Jahr nachschreiben muss. Mir entgehen ganze vier Vorbereitungstage, in denen ich einfach nur krank zuhause liege und mich ärgerte, mich nicht angemessen vorbereiten zu können.

Anspannung

Umso glücklicher bin ich, als meine Symptome langsam besser werden und meine Konzentration endlich das Lösen der Probeklausur zulässt. Und tadaa! Die Probeklausur macht mir keine Probleme, mein logisches Denken funktioniert wieder. Das macht mich ein wenig ruhiger. Jetzt noch anderthalb Tage ein paar Unsicherheiten aufklären und dann kann ich am Donnerstag – hoffentlich – in meine zweite und letzte Prüfung dieses Semester starten.

Ich sehe die Anspannung in den Gesichtern meiner Mitstreiter, als ich mich am Prüfungsmorgen auf meinen Weg zur Prüfung machte. Ich weiß, für die meisten hier ist das bereits der Zweitversuch. Aber ich kann nicht anders, als mich ein klein wenig auf die nächsten zwei Stunden zu freuen. Es ist immer ein tolles Gefühl, vor unbekannten Aufgaben zu sitzen und unter Zeitdruck eine Lösung finden zu müssen.

Zugegeben. Die meisten Aufgabenstellungen sind auch mir etwas ZU unbekannt und ich gerate ganz schön in Schwitzen. Doch irgendwie kann ich meinen Kopf bei jeder weiteren Aufgabe ein klein wenig mehr verdrehen und schaffe es, den Großteil zu lösen – zumal ich zwei Antworten fast vollständig von meinem Spickzettel abschreibe …

Viele Fragen, keine Antworten

Die ersten Tage nach der Prüfung sind komisch. Ich habe plötzlich nichts mehr zu tun. Zwei Wochen ohne irgendeinen Druck von der Uni. Was fängt man mit seiner Zeit an, wenn vorher alles auf diese zwei Prüfungen ausgerichtet war, die jetzt vorbei sind? Ich arbeite an meinem Spanisch und komme erstaunlich gut voran. Endlich kann ich auch diesem Blog wieder Zeit widmen. Ich treffe mich mit tollen Menschen, gehe auf Partys, überrasche mich immer wieder selbst. Wann sonst ergibt sich die Gelegenheit, mitten in der Nacht mit einer guten Freundin von Potsdam nach Wittenberg zu fahren, um dort auf eine Party zu gehen, weil auf der Party in Potsdam die Abendkasse nicht geöffnet hat?

Bald muss ich mich um die Modulanmeldungen fürs neue Semester kümmern. Das ist eigentlich eine willkommene Abwechslung, weil es Spaß machen kann, sich einen Stundenplan zusammenzustellen. Dabei entdecke ich zufällig mein Ergebnis der ExPhy-Prüfung: 1,3. Mir kommen dir Tränen, weil sich meine harte Arbeit gelohnt hat. Ein bisschen Gedanken mache ich mir allerdings ums nächste Semester. Die Module in den ersten zwei Jahren des Bachelorstudiums sind sehr stark voneinander abhängig. Deswegen führt mein Plan, mein Studienleben durch das Weglassen von Modulen zu entstressen, dann in eine Sackgasse.

Und ich bin ehrlich: Ich weiß noch nicht, was ich deswegen unternehme. Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, all das ein wenig zu entkoppeln? Oder mache ich statt des vierten Semesters ein Praktikum im Bereich Journalismus? Ist ein Physikstudium in meinem Fall berufstechnisch überhaupt zielführend? Viel zu viele Fragen und je länger ich darüber nachdenke, umso mehr Fragezeichen tauchen in meinem Kopf auf. Wohin wird mich dieses Studium führen?

ich träume über meinen zukünftigen Unialltag

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